top of page
AutorenbildBjörn Göttlicher

Ihr Finnland

Meine Beziehung zum Land meiner Mutter




Meine Mutter im See. Glückliche Momente im Regen.



Liebe Mareen!



Unsicher, ob es dir hilft, versuche ich mich an einem Rückblick, in vollem Bewusstsein, dass sich die Dinge weiter entwickelt haben. Als mich in Barcelona einmal der Direktor eines Universitäts-Instituts nach einem Interview für das Magazin „Der Spiegel“ auf Finnland ansprach, war ich ganz perplex. Er malte die Erziehung dort in sehr lebendigen Farben und pries das Schulsystem über die Maßen. Ich wusste nichts davon, war ich doch in Deutschland zur Schule gegangen. Was ich wusste, war, dass das Leben auf dem Land geprägt war von Kälte und Einsamkeit und einer rauhen Natur. Von Alkoholismus und Gewalt. Heute liest man öfters Artikel über das Land, in dem die meisten Menschen glücklich sind, was durch allerhand Statistiken bestätigt wird, über die ich mich freue.


Meine Eltern fuhren mit meiner kleinen Schwester Gunilla und mir immer nach Loupionen, das liegt etwa 150 Kilometer von Helsinki entfernt im Landesinneren. Wir erreichten es durch eine lange Straße, die von Helsinki Flughafen bis zu dem Dorf geradeaus verlief. Sorry, nein, an einen Abzweig ganz am Schluss kann ich mich erinnern. Unterwegs sah es genauso aus wie am Ziel der Fahrt. Es gab Wälder und Seen, Birken und Felsen aus der letzten Eiszeit. Der kleine Ort, wo meine Großmutter lebte, liegt am See, der Blumensee genannt wird, Kukkiajärvi auf Finnisch. Wir gelangten vom Haus meiner Großmutter über einen Waldweg an den See, dort gab es die vertäuten Ruderboote der Nachbarn und einen Steg, von dem aus ich gerne angelte. Leider verhedderte sich mein Angelköder gleich beim ersten Mal an einem Felsen am Grund des Sees und mein Vater weigerte sich standhaft, ihn mir hoch zu tauchen, so dass ich leider keinen Fisch von dort fing.



Das war kurz bevor ich die Lust an Finnland verlor. Ich wollte eine Welt jenseits des Sees kennenlernen...




Ins Wasser wäre ich selber nie gegangen, denn der See war schwarz und dunkel. Trotzdem fand ich es gemein von meinem Papa. Wahrscheinlich haben meine Eltern dann genau wegen dieser Episode beschlossen, sich selber ein Haus zu bauen, an einer an deren Stelle des Sees, einmal fuhren wir die Strecke sogar mit dem Fahrrad. Das war eine spannende Reise durch den Wald, Hügel hoch, Hügel runter, damals war meine Mutter eine geübte Radfahrerin. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte mir gesagt, dass es im nahegelegenen Ort einen öffentlichen Badestrand gab, das wäre lustiger geworden, so waren wir doch eher viel auf uns allein gestellt. Unsere Beschäftigungen auf dem neuen Grundstück am See im eigenen Haus waren folgende: Vierblättrige Kleeblätter sammeln, mit einem Finnenmesser schnitzen, am Seeufer an den Birken hängen und von Baum zu Baum schwingen.


Gegen Abend war es immer meine Aufgaben, Wasser für die Sauna zu holen, denn wir machten häufig Sauna und sprangen sogar mal in den See. Leider war der See bei uns matschig, so dass das Vergnügen des Reinspringens irgendwie eine schmutzige Angelegenheit wurde. Jedenfalls habe ich da gelernt, dass die Finnen in der Sauna alles Mögliche machen, sogar sich waschen. Dunkel war‘s da, es gab nur eine Kerze, dafür aber Mücken, doch die gab es überall. Mein Vater machte mal ein Experiment. Er ging in kurzen Hosen auf einen Ruder-Ausflug, der uns zum Grillen auf eine der Inseln führen sollte. Finnen lieben es, ihren Würste, die sie Makkara nennen, am Lagerfeuer auf einer Insel zu braten. An den Senf kann ich mich erinnern, er schmeckte wie der Ketschendorfer. Als wir zurückkamen, zählte mein Vater an beiden Beinen 40 Mückenstiche, beschwerte sich aber nicht, was mich ziemlich verwunderte, denn Mückstiche brennen höllisch. Davon gibt es noch ein Foto.


Als ich Jahre später mal wieder in der Sauna war, diesmal mit einem Freund aus dem FLG, hatten wir eine Flasche Zwetschgenschnaps dabei, um zu probieren, wie es sich anfühlt, damit einen Aufguss zu machen. Ich kann es ja verraten: wir wurden davon weder besoffen, noch roch es nach Zwetschgen. Allerdings kam uns mein Onkel auf die Schliche. Der sah die Flasche in der Sauna und wurde sofort skeptisch. Er verdächtige uns wortreich, mit dem Inhalt irgendetwas angestellt zu haben, was sich nicht gehört. Heute denke ich, er ging davon aus, dass es sich gehört hätte, ihm die Flasche zu geben. Der Arme, er musste sich seinen Alkohol ja sonst bei den Nachbarn besorgen, die destillierten ihn, wahrscheinlich aus Mücken. Er hatte sowieso eine seltsame Wahrnehmung. Die Nachbarn gingen davon aus, dass ihm das Haus meiner Eltern gehörte, weil er gerne sowas erzählte und er betätigte sich dort auch als Bauherr. Nur warum der Eingang für den Hügel, den er vor das Haus baute, seinen Eingang zur Sonnenseite hatte, bleibt mir bis heute schleierhaft. Dieser Hügel sollte als Kühlkammer dienen. Kühlte nur nicht.



Meine Mutter schnitt eine Person aus den Bildern in unseren Familienalben.



Doch mit 16 hatte ich das dringende Bedürfnis, die Strände im Süden Europas aufzusuchen, so dass ich mich weigerte, weiter nach Finnland zu fahren. Meine Mutter hatte da schon begonnen, ihre Familiengeschichte zu einem Thema zu machen, unter dem sie schrecklich litt. Mein Vater hatte seinen Enthusiasmus von Finnland weg auch auf andere Bereiche verlagert, die er geschickt zu verschleiern suchte. Es gelang ihm aber nicht sonderlich gut. Die Ehekrise meiner Eltern wirkte sich auf vieles aus. Dennoch hatte ich später noch die Gelegenheit, andere Seen kennenzulernen, so dass ich einen Urlaub auf einem Mökki am See sehr empfehlen kann, wenn man in der Lage ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Finnland ist sonst rar an Sehenswürdigkeiten, von alten Holzkirchen abgesehen. Am Polarkreis kenne ich den Ort Kiruna, da war ich im Winter bei einem Schnee-Festival.





Helsinki ist eine Reise wert, ich habe viele Verwandte dort und besuchte sogar die finnische Fotografin Meeri Koutaniemi für mein Projekt "Fotograf der Fragen" . Der Charakter der Finnen ist aus meiner Sicht von tapferer Leidensfähigkeit, was sich im Wort „Sisu“ manifestiert. Man könnte es Durchhaltevermögen nennen. Es kommt am besten zum Ausdruck beim Skilanglauf und in den Erzählungen des Widerstandes gegen die Invasion der Russen im zweiten Weltkrieg. Hundert Tage Winterkrieg. Einmal war ich mit meinem Bamberger Freund und zwei meiner Großcousins im Auto unterwegs. Da war es uns eine Herzensangelegenheit, uns miteinander zu unterhalten. Meinem Freund Franz kam die Idee, das Gespräch so anzufangen: „There Are not many tourists here.“ Das sagte er, nach hinten zu unseren Mitfahrern gerichtet. Es passierte nichts. Nach einer Weile sagte einer der Cousins: „Not many“. Worauf wieder Stille eintrat. Dann legte er noch einmal alles in die Waagschale und ergänzte: „Not yet“.


Stimmt ja auch. Denn jetzt kommt Mareen mit Familie!





18 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comentários


bottom of page